Furiose Rückkehr des Einstein-Literaturkurses

Alternativer Text
Ist es fünf Jahre her oder doch bereits sechs – wer könnte noch ad hoc sagen, wann die letzte Literaturkurspremiere am EG stattgefunden hat. Jetzt ist die jahrelange Negativserie beendet. Am 13. und
15. Juni 2024 begeisterte der Literaturkurs der Q1 unter der Leitung Frau Schmidt-Gollas und des professionellen Schauspielers Nico Venjacob vor zahlreichem Publikum. Gespielt wurde die Kriminalkomödie „John Stanky, Privatdetektiv“ von Andreas Kroll.

Als der Vorhang sich öffnet ist es dunkel. Gedämpfte Swingmusik. Auf der Leinwand flackt eine Projektion auf und entführt ins Chicago der 1930er-Jahre: Eine heruntergekommene Häuserzeile, im ersten Stock des zentralen Gebäudes eine Detektei. Die Projektion endet, die Musik ebbt ab, auf der Bühne wird es hell.
An einem unaufgeräumten Schreibtisch sitzt schlafend Privatdetektiv John Stanky persönlich, mitreißend verkörpert von Eric Dallmann. Lautlos wird die Bürotür geöffnet und Mr. Oliver Shoemaker (Florian Landwehr), Stankys resoluter Sekretär, betritt das Büro. Irritiert hält er inne. Ein miefiger, abgestandener Dunst mit scharfem alkoholischen Aroma steigt ihm in die Nase. Da fällt Shoemakers Blick auf seinen schlafenden Chef. Er schreit auf. Was zu viel ist, ist zu viel: Unbarmherzig knallt Shoemaker dem jäh aus dem Schlaf gerissenen Detektiv seine schriftliche Kündigung auf den Schreibtisch. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung mit Stanky, in deren Verlauf dieser alle Register zieht, um seinen unentbehrlichen Rechercheur doch noch zurückzuhalten, verlässt der nun Ex-Sekretär das verhasste Büro. Die bereits hier reichlich vorhandenen Wortwitze in gekonnter schauspielerischer Inszenierung kommentierte das Publikum mit einer Reihe ausgelassener Lacher.
Nicht minder amüsiert zeigten sich die Zuschauer als kurz darauf Lady Alice Sutherland, meisterhaft gespielt von Alina Köllner, das Büro des inzwischen wieder dösenden Privatermittlers betritt, der die junge Adlige zunächst für den reuig zurückkehrenden Mr. Shoemaker hält. Wie sich nach Klärung des peinlichen Missverständnisses herausstellt, ist Lady Alice im Landhaus ihrer schwerreichen Großmutter zufällig ein Schreiben in die Hände gefallen, bei welchem es sich offenkundig um einen Erpresserbrief handelt. Sofort erkennt sie die Gefahr, dass ihre Großmutter die geforderten 10.000 $ bezahlen könnte, um einen gesellschaftlichen Skandal zu vermeiden. Daher fasst Alice den Plan, Privatdetektiv Stanky unter dem Decknamen Anthony Wellington als angeblichen Bekannten von der Pariser Weltausstellung beim kommenden Familientreffen auf dem Landsitz der Bellinghams in deren erlauchte Gesellschaft einzuschleusen. Eine detektivische Operation, die eigentlich nur schiefgehen kann, denn unglücklicherweise verwechselt Alice den zweitklassigen Stanky mit einer Koryphäe seines Fachs.
Bereits an der Eingangstür des Bellingham-Anwesens kommt es zu einem unangenehmen Zusammenstoß mit dem betagten Butler Alfred Stevenson (Cassian H. Pöppelbaum), der die humorvoll gemeinte Begrüßung „Hey, Alfred-Baby“ als gar nicht allzu komisch auffasst. Auch Stankys Neuinterpretation der zuvor vereinbarten Tarn-Legende, wonach er zu Alice Verlobten avanciert, den sie auf der Wiener Automobilausstellung kennengelernt hat, bringt seine Auftraggeberin in sichtliche Verlegenheit. Alice’ cholerische Großonkel Lord Thomas und Lord Ashley (Henri Lohoff und Florian Mönning) zeigen sich maßlos entsetzt und sehen den Untergang des Hauses Bellingham nahen. Von den versammelten Familienmitgliedern freut sich einzig Tante Helen (Lenya Schuhmacher), welche ihr kindliches Gemüt nie abgelegt hat und in einer eigenen Welt lebt, so richtig über die Verlobung. Zum Amüsement des Publikums beginntsie schon einmal eifrig damit, Windeln für Alices und Johns zukünftige Kinder zu stricken. Außerdem begeistert sich das junge Dienstmädchen Claire (Emma Vogt) für den lässigen Detektiv, wohingegen Alfred mit dem einen oder anderen Wutausbruch zu verstehen gibt, dass er diese Sichtweise nicht teilt. Und mitten in die zerstörte Adelsidylle platzen auf einmal Ereignisse, die schaurig unter Beweis stellen, dass der Erpresser sein verbrecherisches Repertoire noch längst nicht ausgeschöpft hat.

Kurzum: Das Familientreffen entwickelt sich zu einer Familienkatastrophe mit hohem Unterhaltungswert. Insgesamt zeigte sich das Publikum an beiden Aufführungsabenden mitgerissen von der schauspielerischen Umsetzung des kurzweiligen Theaterstücks. Besondere Bewunderung zog dabei unter anderem das von Florian Landwehr und Henri Lohoff facettenreich gestaltete Bühnenbild auf sich. Die Zuschauer würdigten die künstlerische Leistung des engagierten Kurses mit fulminantem Applaus und großzügigen Spenden – ein Comeback des Einstein-Literaturkurses, das vielleicht für die zurückliegenden fünf oder sechs Jahre ohne Premiere entschädigt.
(Cassian H. Pöppelbaum)

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